Vorwort

Zwei Jahre sind vergangenen seit meinem letzten Langstreckentrekking, als ich in einer Woche den berühmten West Highland Way in Schottland gegangen bin, ganze fünf gar und damit viel zu viele seit der letzten derartigen Wanderung in Island. 2012 war die einmalig schöne Gegend um den See Langisjór das Ziel. Es wurde also mal wieder höchste Zeit, sich den Herausforderungen des Hochlandtrekkings in Island zu stellen, aber auch die erholsame Einfachheit dessen zu genießen. Denn außer um das Wetter, eine sinnvolle Wegfindung und einen schönen Zeltplatz am Ende des Tages hat man sich hier um nichts weiter zu kümmern. Schon lange übte die Lónsöræfi eine große Anziehungskraft auf mich aus. Irgendwie klingt schon der Name nach Abenteuer und jedes Mal, wenn ich in den vergangenen Jahren an die Brücke über die Jökulsá i Lóni kam, stieg ich aus, war fasziniert vom überwältigenden Blick in dieses breite Tal hinein und nahm mir immer wieder aufs Neue vor, irgendwann dort hinein zu wandern.

Tag 1: Stafafell – Eskifell – Múlaskáli

Nach vier Tagen High Life beim Eistnaflug Festival in Neskaupstaður stehe ich nun auf dem Campingplatz in Stafafell, abgesetzt mit meinem ganzen Krempel von meinen Metal-Buddys Tara und Liz, ein 180°-Kontrastprogramm vor der Brust. An diesem Vorabend bin ich ziemlich aufgeregt. Komm ich gut durch? Hab ich alles Wichtige beisammen und drohen mir keine Ausrüstungsschäden? Reichen die Kräfte und hält das Wetter halbwegs? Ich checke meine Ausrüstung (als ob das etwas bringen würde, was ich vergessen haben sollte krieg ich eh nicht mehr her), hau mir den Bauch voll mit den letzten frischen Nahrungsmitteln für die nächsten gut anderthalb Wochen: Brot, Hangikjöt, Käse, Tomaten, Gurke, Apfel, Orangensaft. Dann telefoniere ich noch lange mit Julia, was mich ziemlich beruhigt. Schlafe trotzdem schlecht ein und wache durch das Gerumpel aus dem Wohnmobil nebendran schon vorm Wecker auf gegen 5:15. Weiterschlafen zwecklos, daher stehe ich auf. Bis 7 ist alles gepackt, gefrühstückt, die übrigen Lebensmittel die ich beim besten Willen nicht mehr gepackt hab in der Free-Food-Box verstaut, eine letzte warme Dusche auf ungewisse Zeit genossen und ein Eintrag ins Gästebuch in der Aufenthaltsbude des Campingplatzes gekritzelt. Dann geht’s endlich los! Vom Campingplatz aus zunächst in wenigen Minuten zur schönen, baumgesäumten Kapelle von Stafafell und von dort raus an die Ringstraße. Der Rucksack ist mit Nahrungsmitteln für geplante 12 Tage (inklusive zweier Puffertage in Form von Ruhetagen bzw. Tagen, an denen ich Abwettern muss) nicht gerade federleicht – ich schätze ihn auf rund 24kg, aber gut gepackt und deswegen nicht ganz so übel zu tragen. Etwa 1,5km folge ich der Ringstraße, ohne dass ich einem einzigen Auto begegne. Ist noch früh und die große Masse der Ringstraßentouris schlummert noch in ihren Camper-Mobilen. Nur ein paar Schafe begleiten mich hin und wieder bevor sie es sich anders überlegen und wieder von der Straße abzweigen. Dann komme ich an die Abzweigung der Schotterpiste kurz vor der Brücke der Ringstraße über den Gletscherfluss. Der Blick von dieser Stelle ins weite Tal der Jökulsá i Lóni erinnert mich daran, warum ich mir bisher jedes Mal, wenn ich an dieser Stelle vorbei gekommen bin, dachte, wie wahnsinnig gerne ich mal in dieses faszinierende Tal wandern würde. Jetzt ist es so weit! In der Ferne leuchten die schnee- und eisbedeckten Gipfel von Sauðhamarstindur (1315m) und den östlichsten Ausläufern des Vatnajökull, davor spiegelt sich im Fluss das satte Blau des Morgenhimmels.

Entlang der Schotterpiste geht es nun parallel zum Fluss ins Tal hinein und an einigen Ferienhäuschen vorbei. Manche davon sind richtig schnieke Butzen aus Holz, mit Veranda, Wintergarten und Gewächshäuschen. Kein schlechter Platz für ein Wochenende, vor allem bei einem Wetter wie es sich heute zeigt: die Sonne scheint, es ist warm und es geht kaum Wind. Gutes Vorankommen, trotz des schweren Rucksacks. Es gibt hier noch keine erwähnenswerten Steigungen und die Schotterpiste eignet sich ganz gut zum Einlaufen. Dann passiere ich irgendwann die letzten Ferienhäuschen und es wartet ein erster spürbarer Anstieg über rotes, scherbiges Gestein. Oben lässt sich in die Ebene hinter der Erhebung und zum ursprünglich geplanten ersten Etappenziel, dem Eskifell, blicken. Nach Süden hin kann ich den bisher gegangenen Weg bis raus an die Brücke überblicken. Ich setze einen ersten Spot der Tour ab. Zugezogen ist es ein wenig, aber weiterhin ist das Wetter als mehr als gut zu bezeichnen. Runter in die Ebene geht es weiter, vorbei an einem Wasserfall, dessen Bach nach wenigen Metern im Schotter versickert, mir aber zu einer Trinkpause einlädt. Nicht viel später treffe ich auf einen Jeep am Wegesrand, aber niemand ist zu sehen. Nur wenige Meter weiter weisen unauffällige, gelb markierte Pflöcke nach rechts weg in einen sehr schönen, knorzigen Birkenwald, der mit sattem Grün im Unterholz und hübschen Blumen aufwartet.

Es folgen weite Schotterflächen praktisch im Talgrund der Jökulsá, teils dick moosbedeckt. Zwischendurch noch ein Spot, dann tauchen in der Ferne weitere drei Jeeps auf, aber auch hier sind keine Personen zu sehen. Kurz vor der Fußgängerbrücke über die Jökulsá treffe ich auf die erwartete, aufgrund von Erfahrungsberichten anderer Trekker möglicherweise schwierigste Furt der ganzen Tour, die sich aber in diesem Jahr als sehr einfach erweist: an einer recht breiten und strömungsarmen Stelle nahe der Mündung in den Gletscherfluss reicht das Wasser gerade mal bis Mitte Wade. Die brandneuen Neoprensocken werden dennoch direkt getestet und für ausgezeichnet befunden. Endlich keine gefühlt abfrierenden Füße mehr – so furtet es sich tiefenentspannt! Sehr heikel hingehen sind dann zwei, drei Hangquerungen oberhalb der Jökulsá auf dem weiteren Weg zur Brücke. Links geht’s einige Meter praktisch senkrecht hinunter direkt in die Jökulsá, der Pfad ist schottrig, locker und teils extrem schmal. Der Flussarm unter mir ist zwar nicht wirklich reißend, runter fallen will man allerdings trotzdem auf gar keinen Fall. Die Tour wäre beendet bevor sie überhaupt so richtig angefangen hätte. Luft anhalten und mit ein paar konzentrierten Schritten und mit Hilfe der hier fast unverzichtbaren Trekkingstöcken rüber! Kurz darauf verirre ich mich auf der Suche nach der Brücke tatsächlich ein paar Minuten im Wald (in ISLAND!), wo sich der Pfad verliert und scheinbar irgendwie systemlos ein paar vereinzelte Pflöcke hier und da im Boden stecken. Dann ist die komfortable Hängebrücke aber erreicht und sogleich passiert. Da es gerade mal Mittag ist, fälle ich die Entscheidung, die ursprüngliche zweite Etappe zur Múlaskáli-Hütte nach einer kurzen Pause direkt anzugreifen. Das Wetter passt weiterhin, warum also nicht? Hinter der Brücke ändert sich der Charakter der Landschaft: Kein weites Tal mit stark mäandrierendem Fluss mehr, sondern deutlich schmaler mit Klippen, Felsinseln und Steilhängen im Flussverlauf. Der Blick führt ins Tal, dem ich die nächsten Stunden bis zur Hütte folgen werde. Die Wolken hängen inzwischen recht tief, eröffnen aber kurzzeitig den Blick auf den Hnappadalstindur (1212m) und laden ihre Wasserfracht freundlicherweise auch den ganzen Tag nicht auf mich ab.

Auch das Terrain ändert sich im wahrsten Sinne des Wortes spürbar: Gleich hinter der Brücke geht es nicht unwesentlich bergan zum Pass in Richtung Ásavatn, an dem ich rechts abbiege und mich ins Tal wende. Weiterhin ansteigend, an einem kleinen See vorbei, den ich für eine Trinkpause nutze, bis die Abzweigung zur Piste F980 erreicht ist, die ebenfalls ins Tal zur Hütte führt. Die gehe ich aber natürlich nicht sondern folge dem gepflockten Wanderpfad Richtung Kambar. Ab hier geht’s erst ein Stück bequem hangparallel entlang. Tolle Tiefblicke auf die Jökulsá und vor allem auch zurück auf den bisherigen Etappenverlauf bis raus zur Brücke der Ringstraße und ans Meer eröffnen sich.

Dann geht langsam ein ordentliches Auf und Ab los. Immer wieder müssen tief eingeschnittene, kleine Seitentäler durchschritten werden, die steil zum Haupttal hinunter ziehen, teils müssen große, steile Schotterhänge gequert werden, die aber alle bei weitem nicht so heikel sind wie die kurzen Stellen vor der Brücke. Das Wetter ist unverändert, die Gipfel gegenüber hängen in Wolken, darunter werden die riesenhaften, schroffen, bunten Hänge, die von der Hellisskógsheiði schwindelerregend steil in die Jökulságljúfur abfallen, teils von der Sonne beschienen, was tolle Lichtspots ergibt. Das sieht mit den verschiedenfarbigen Gesteinen ein wenig nach dem berühmten Landmannalaugar aus, ist aber noch ein ganzes Stück wilder und dem Himmel sei Dank nicht im Ansatz so überlaufen.

Viele Fotos und kurze Pausen um die Aussicht zu genießen. Das Auf und Ab beginnt mit der Zeit auch zunehmend anstrengend zu werden. Dann einem Tal folgend entlang eines Baches länger aber gemäßigt bergan. Die Aussichten sind hier nicht mehr ganz so atemberaubend wie zuvor, weshalb ich hier ohne viel Tamtam durch stapfe. Kurz darauf, mit dem Zusammentreffen mit der F980, kommt schließlich auch erstmals die Múlaskáli-Hütte tief unten im Tal zum Vorschein. Auf einem kleinen aber feinen Aussichtshügel setze ich einen weiteren Spot ab falls unten nix geht (allerdings ist die Sorge unbegründet – das Ding hat jedes Mal funktioniert). Allerdings kein Handyempfang mehr in dieser Gegend. Kurz folge ich der Piste, an deren Ende ein weiterer Jeep steht (Verhältnis Jeeps zu Menschen bisher 5:0!) und schon recht ausgeblichene Infotafeln zu Flora, Fauna und Geologie des Lónsöræfi-Gebiets. Dann folge ich einem Trampelpfad steil runter ins Jökulsá-Tal. Zum Glück bin ich bald da, die Anstrengungen dieser ersten Etappe sind nicht von der Hand zu weisen. Über noch eine zweite (schwankende) Hängebrücke, dann erreiche ich die Hütte. Kurzes Gespräch mit Gummi, dem Nationalpark-Ranger in Múlaskáli, und mit vier Engländern, die vom Geldingafell her kamen – also aus der Gegend des vor mir liegenden Weges. Daher quetsche ich sie ein wenig über ihr Vorgehen aus. Sie haben wohl die Vesturdalsá, die dem See Fremstavatn auf der morgen zu querenden Hochfläche entspringt, über eine Schneebrücke überwunden. Scheinen also noch stabil zu sein, was auch der Hüttenwart Jón bestätigt, der ebenfalls die letzten Tage in dem Gebiet der Kollumúlahraun-Hochfläche unterwegs war und davon ausgeht, dass die Brücken noch “mindestens die nächsten zwei Wochen gut halten” sollten. Außerdem sind die Briten vom Snæfell kommend über den Eyjabakkajökull gegangen, was ich aber als Solist von vorne herein ausgeschlossen und daher nicht mal Grödeln im Gepäck habe. Dann wird’s Zeit, den Trangia anzuwerfen. Zum Glück, des ausgezeichneten Wetters wegen, außerhalb des Zelts auf einer Bank, denn irgendwie scheint der Rauðsprit diesmal eine ganz besonders giftige Mischung zu sein – ein wenig Wind sorgt dafür, dass die Flammen unten im Windfang wabern und herausschlagen. Daher wird ab sofort nur mit Regulator gekocht, genau drauf geachtet, dass nicht zu viel Wind in den Kocher fährt und außerdem der Power-Spiritus noch mit etwas Wasser verdünnt. Wetter soll gut sein morgen, daher schmiede ich den Plan bis Geldingafell zu gehen, um die Hochfläche bei guter Sicht überqueren zu können. Das ist zwar eine weitere saftige Etappe, aber allemal besser als im Zweifelsfall kilometerweit in einer Wolke nach GPS zu gehen.

Tag 2: Múlaskáli – Geldingafellsskáli

Auf um 7, gut geschlafen trotz der relativ erschöpfenden ersten Etappe. Das Frühstück lockt zum ersten Mal mit Müsli und Babybreipulver, etwas, an das es sich für die nächsten zwei Wochen zu gewöhnen gilt. Ist aber tatsächlich gar nicht so übel wie man es sich vorstellen könnte. Dann Abbau des Zelts und Aufbruch um 9. Nochmal kurz mit Gummi geschnackt, der meinen Namen und Plan aufnimmt, um in der Snæfellsskáli Bescheid zu geben, dass ich unterwegs bin. Soll von dort aus von meinem Fortschritt berichten lassen wenn ich angekommen bin. Hinter der Hütte folge ich zunächst einem Pfad am Ufer entlang. Soll den zweiten Aufstieg nehmen in Richtung des Kollumúlavatn, da der wohl nicht so arg steil ist. Gehe am ersten vorbei, komme an einen Felsriegel, den ich oberhalb des Flussbettes erklimmen muss, sehe dass es dort wieder links runter durch eine kleine Schlucht geht und eine Kette aus dieser wieder hinaus führt. Kurz steil mit Hilfe dieser Kette hoch, aber rechts den Hang hoch, wo ich eigentlich so langsam den Aufstieg erwarten würde, erkenne ich nur undeutliche Trittspuren. Also vorerst weiter auf dem mit Pflöcken markierten Pfad, der aber nicht in der Karte eingezeichnet ist. Daher bin ich zunehmend verunsichert, da dieser Weg weit nach hinten ins Tal zu führen scheint, aus dem ich ja eigentlich raus will. Und an der Stelle, an der der GPS Track hoch führt, bin ich schon längst vorbei. Kehre daher um und folge den Steigspuren, weil ich dies für die Stelle im GPS Track halte, an der ich abzweigen kann. Die Spuren verlieren sich aber nach wenigen Metern. Gehe trotzdem steil weiter, bahne mir einen Weg durchs Birkengebüsch und komme an einer eindrucksvollen, meterhohen “Mauer” einer Lavaintrusion auf lockeren Schotter. Jetzt zeigt sich beim Blick aufs GPS, dass ich offensichtlich doch etwas zu weit westlich des Tracks bin, der wohl doch über den Rücken östlich der Schlucht mit der Kette hoch führt. Hab mich auch auf der Karte geirrt, dachte richtig zu sein mit dem Höhenrücken, auf dem ich nun stehe. Kann aber an einer flachen Stelle auf den richtigen Aufstieg (den 1.) queren. Lektion gelernt, lieber drei Mal checken um ganz sicher zu gehen, ob man auch richtig ist. Von hier geht es nun weniger steil bergan bis es sich vor einem weiteren Aufschwung erstmal abflacht. Riesige Blicke Richtung Ostseite Vatnajökull und die “Doppelgipfel” Sauðhamarstindur (1315m) und Suðurtungatindur (1267m) und erstmals so richtig das berühmte isländische Neonmoos.

Die Sonne scheint und leichter Rückenwind hilft beim Vorankommen. Nach dem folgenden Aufschwung, an dem ich auf den Weg treffe, der von den Leiðartungur hochzieht und den ich eigentlich hätte gehen sollen (ein kurzer Abgleich der Bezeichnungen auf den Wegweisern unten im Tal mit der Karte hätte gereicht, um sich dessen zu vergewissern), gelange ich oben auf eine Hochfläche zwischen dem Jökulsá-Tal und dem Kollumúlavatn. Sieht erstmals richtig nach Hochland aus: sanft geschwungene, weite Schotterflächen, wenig Vegetation. In der Ferne taucht bereits der Snæfell majestätisch am Horizont auf, das Ziel des ersten von drei Teilstücken des Treks. Außerdem baut sich vor mir die Kollumúlahraun-Hochebene auf, die es auf dem Weg zum Tagesziel Geldingafellsskáli noch zu überqueren gilt.

Kurz weiter entlang des Wegs Richtung Hütte Egilssel am Kollumúlavatn, dann zweige ich links weglos ab, um zum nächsten Aufschwung hinter dem See zu queren. Von meiner kleinen Hochfläche steige ich hinunter in eine grüne Senke. Weiter ist es sonnig und ziemlich warm. Während einer Trinkpause an einem kleinen Bach spazieren ca. sechs Rentiere in kurzer Distanz an mir vorbei. Die Kamera kann ich leider nicht schnell genug zücken. Dann folgt ein weiterer, letzter Anstieg, was sich inzwischen ziemlich anstrengend gestaltet. Von der Múlaskáli-Hütte bis auf die Kollumúlahraun-Hochfläche dürften es ca. 700 Höhenmeter sein, die mir aufgrund des Rucksacks so anstrengend vorkommen wie 2000 Höhenmeter ohne schweres Gepäck in den Alpen. Endlich oben angekommen bietet sich jedoch ein gigantischer Blick auf den Gletscher, auf einen riesigen Wasserfall, der hinunter ins Jökulsá-Tal stürzt und auf den weiteren Weg. Der führt mich jetzt über die Hochfläche in Richtung der Seenkette bestehend aus Fremstavatn, Miðvatn, Innstavatn und Kelduárvatn. Das Gelände besteht zwar nur aus einem leichten Auf und Ab, aber schon hier ist der Untergrund immer etwas blockig. Steuere den Fremstavatn an. Immer wieder sind Schneefelder zu queren, die aber meist angenehmer zu gehen sind als die groben Steinblöcke. Einen kleinen Bach kann ich über Trittsteine statt eine unsicher erscheinende Schneebrücke queren. Dann blicke ich von einer Anhöhe aus auf die Vesturdalsá. Links erkenne ich eine Schneebrücke bei einem Wasserfall, die aus der Entfernung ganz gut aussieht. Rechter Hand stürzt ebenfalls ein Wasserfall über eine Geländekante, aber es ist nicht erkennbar, ob Schneebrücken unterhalb eine Querung zulassen. Die linke Variante erscheint mir von meiner Position aus ein ziemlicher Umweg zu sein angesichts meiner geplanten Marschrichtung, rechts denke ich an Hüttenwart Jón, der meinte, man solle eine Schneebrücke oberhalb des Wasserfalls queren. Welcher Wasserfall jetzt? Links oder rechts? Entscheide mich schließlich für rechts, um mir den Umweg zu sparen. Am “rechten” Wasserfall angekommen sehe ich nur eine brüchige und stark vertrauensunwürdige Schneebrücke direkt unterhalb des Wasserfalls. Die geht nicht. Oberhalb des Wasserfalls folgen allerdings nur wenige Meter Fluss bis zu dessen Ausfluss aus dem Fremstavatn. Mit der Schneebrücke oberhalb des Wasserfalls war also ganz bestimmt die linke Variante gemeint. Kann hier aber die Vesturdalsá einfach furten, muss aber dafür allerdings in die Watschuhe wechseln. Dann schlage ich entlang der Seen, teils in direkter Ufernähe, wieder meine Hauptrichtung ein, der Snæfell kommt inzwischen merklich näher.

Das Geläuf wechselt weiter zwischen grobem, anstrengendem Schutt und immer wieder zum Teil richtig großen Schneefeldern. Dazwischen liegen weiche, matschige Stellen, aufgeweicht durchs Schmelzwasser. In Kombination zehrt alles langsam an den Kräften. Lasse einen See nach dem anderen hinter mir, größtenteils sind diese noch schnee- bzw. eisbedeckt. Einmal sinke ich im “Treibschotter” etwas tiefer bis über den Knöchel ein. Nach einer letzten Kurve um den Osthang des Geldingafell (1087m) sehe ich endlich die private, verschlossene Hütte kurz voraus. Ziemlich KO komme ich wenige Minuten später dort an. Das war bereits die wahrscheinlich anstrengendste Etappe der ganzen Tour. Ich baue das Zelt an einem kleinen aber ordentlichen, mossbewachsenen Fleck hinter der Hütte auf, dann hau ich mir ein riesigen Topf Spaghetti Napoli rein. Nach ein paar Fotos von der tiefstehenden Sonne hinter dem Snæfell verkrieche ich mich in meinen Schlafsack, Kräfte regenerieren. Insgesamt war ich heute fast 12h unterwegs.

Tag 3: Geldingafellsskáli – Snæfell Ostseite

Bestes Wetter beim Aufwachen. Allerdings habe ich nicht so gut geschlafen. Ziemlich KO gewesen, außerdem zerrt die meiste Zeit ein recht ordentlicher Wind am Zelt. Ohropax helfen ab irgend einem Zeitpunkt. Um 7 stehe ich auf, lasse mir aber relativ viel Zeit heute. Am Schmelzwasserbach gönne ich mir eine kleine Katzenwäsche, danach gibt’s Frühstück. Start wohl erst gegen 10, ohne aber genau auf die Uhr zu schauen. Gleich unterhalb der Hütte ist eine einfache Furt der Blandá zu bewältigen. Dort mischt sich der Gletscherfluss außerdem mit einem Schmelzwasserbach. Die beiden typischen isländischen Hochlandsfließgewässer vereint, ein schöner und faszinierender Anblick. Beeindruckend, wie lange die beiden verschiedenen Gewässer im selben Bett fließen ohne sich so richtig miteinander zu vermischen.

Danach folgt eine hügelige Landschaft östlich der mäandrierenden Flüsse der Eyjarbakkar auf direktem Weg zum Ufsarlón, das ich nördlich umgehen werde. Läuft sich die meiste Zeit sehr gut hier, dazu weiterhin Rückenwind. Der Peilberg ist der Hafursfell (1093m) nordöstlich des Snæfell in der Ferne. Zwischen den schottrigen Hügeln mit dem typischen Wüstenpflaster liegen Senken, die grün und meist recht feucht sind. Grasig, tolles Wasser, manchmal aber mit der bekannten Rotfärbung der Uferbereiche, wie man sie in solchen Umgebungen immer wieder antrifft.

Eigentlich sind das hier zahlreiche Traumzeltplätze. In einer der Senken, die etwas Windschutz von der frischen Brise bieten, schicke ich einen Spot raus und relaxe ein wenig in der Sonne. In einer anderen Senke sehe ich ein kleines Küken. Wie eigentlich immer, wenn die Landschaft Wasser, Vegetation und etwas Geborgenheit bietet, versammelt sich hier das Federvieh in großer Zahl. Zwitschern und Pfeifen begleitet meinen Weg. Ein paar pittoreske Blümchen wachsen auch hier und da.

Der Rückblick zeigt, dass heute über die Hochfläche der gestrigen Etappe hinter dem Geldingafell fette Wolken hinweg ziehen, von daher bestätigt sich die Entscheidung, dieses Gebiet gestern komplett zu durchqueren, auch im Nachhinein. Komme an zwei kleinen Seen vorbei, bis ich nahe des Kelduárlon auf eine Piste treffe, die in die Eyjarbakkar führt. Der folge ich weiter direkt Richtung Nord. Dabei treffen ich auf einen Ranger der Snæfellsskáli auf Kontrollfahrt, der mich ein bißchen über mein Vorhaben ausfragt. Er überholt mich später wieder, sagt, er hätte vorhin einen isländischen Falken gesehen, angeblich der teuerste Vogel auf dem weltweiten Schwarzmarkt. Saddam Hussein hatte wohl einen. Wir verabschieden uns bis zum übernächsten Tag, an dem ich an der Hütte einzutreffen gedenke. Danach verlasse ich die Piste wieder querfeldein zur asphaltierten 910. Den künstlichen Zufluss zum Ufsarlón umgehe ich in einiger Entfernung östlich. Schließlich erreiche ich die 910, der ich etwa 2km zur Brücke nördlich des Stausees folge. Über den Damm gehen, wie es später an den Kárahnjúkar möglich sein wird, ist hier leider nicht drin – der Notüberlauf ist nicht überbrückt. Nach der Brücke biege ich direkt querfeldein ab durch eine weite, grüne Senke. Super schön ist es hier und ich halte direkt auf den Snæfell zu. Dadurch, dass ich jetzt aber eher südwestlich laufe, bekomme ich Gegenwind und es fängt für kurze Zeit erstmals ganz leicht zu regnen an. Lege vorsichtshalber Regensachen an, die es aber im Endeffekt nicht gebraucht hätte, denn es bleibt bei ein paar Tropfen. Um den Gipfel des Snæfell hängen allerdings die Wolken. Die kleine Furt der Hafursá kann ich dank Stiefeln und Regenhose trocken, trotz des über knöchelhohen Wassers, bewältigen. Kurz vor dem eigentlich anvisierten Etappenziel direkt am Fuß der Hänge des Snæfell stoße ich auf einen Traumplatz direkt am Fluss in der Nähe eines Wasserfalls auf einer kleinen Flussterrasse.

Damit wird spontan das Etappenende beschlossen. Der Zeltaufbau erfolgt wieder bei ganz leichtem Regen. Danach gibt’s exquisites Fertigkartoffelpüree und eine Entspannungsrunde im Zelt, während die Sonne wieder richtig knallt. Dann folgt etwas andauernder Regen. Macht nix, ich lieg trocken auf meiner Luftmatratze. Als es wieder aufklart mache ich noch einen kurzen Spaziergang zum Wasserfall mit seinen schönen, großen und gleichmäßigen Basaltsäulen. Klares Highlight der Tour.

Relativ früh gehe ich dann ins “Bett”, denn das war die dritte nicht gerade kurze Etappe am Stück. Dafür werde ich morgen schon die Snæfellsskáli erreichen, zwei Tage früher als geplant, wodurch ich aber bisher praktisch immer bei bestem Wetter unterwegs war.

Tag 4: Snæfell Ostseite – Snæfellsskáli

Früh beim Aufwachen regnet es tatsächlich zum ersten Mal wirklich etwas stärker. Was solls, eilig hab ich es bei der verhältnismäßig kurzen letzten Etappe (ca. 15km) dieses ersten Abschnitts eh nicht. Bleibe daher einfach noch etwas liegen bis es ca. eine Stunde später gegen halb 9 aufhört. Kriege am Ende dann alles wunderbar trocken eingepackt und es soll laut Vorhersage auch bis zum Abend nicht mehr regnen. Verlasse den schönen Zeltplatz am Wasserfall vorbei auf eine sumpfige Grasebene, direkt auf den Passeinschnitt zwischen den Nordhängen des Snæfell und des Sandfell zu. Ein paar morastige Senken sind zu umgehen oder zu durchstapfen, einige Mücken sind unterwegs. Immerhin weht nicht mal ein laues Lüftchen und durch den Regen am Morgen ist es regelrecht schwül. Am Fuß des mäßigen Anstiegs ziehe ich daher die Softshell aus. Unterhemdenzeit!

Der Anstieg ist weder lang noch steil, aber oben bietet sich trotzdem ein sagenhafter Ausblick hinunter in die Flusslandschaft der Eyjarbakkar und die Etappe des vorangegangenen Tages bis zurück zum Geldingafell. Stehe lange nur da und gucke. Nebendran plätschert ein Quellbach. Dann wechselt sich die Szenerie mal wieder und es folgt eine Art hoch gelegener Talkessel mit einem See, über dem der Nálhúsknjúkar (1214m) mit seinen Felszinnen thront. Einige der zahlreichen Schneefelder, deren Schmelzwässer sich im Kessel sammeln, werden überquert, die Pflöcke der Wegmarkierung schauen dabei hin und wieder mit ihrer obersten Spitze aus dem Schnee heraus. Blick auf den Nordhang des Snæfell, um dessen Gipfel weiter Wolkenfetzen wabern.

Ich folge dann nicht dem markierten Weg aus dem Talkessel heraus, da dieser einen kleinen Umweg beschreibt. Viel mehr steige ich über einen schwach ausgebildeten Pass direkt in Richtung der Westseite des Snæfell und der Hütte auf. Auf der Passhöhe haut mich dann ein überragender Fernblick fast aus den Latschen. Die gesamte Gipfelprominenz des Hochlandes nordöstlich des Vatnajökull ist zu sehen: Kverkfjöll, Askja, Herðubreið und nebendran der Snæfell. Und „der Gletscher“ selbst natürlich auch. Irre. Dann geht es entlang der Westhänge über einige Schneefelder weiter in einen weiteren Talkessel hinab, wiederum mit zahlreichen Schmelzwasserbächen, die aber alle in Stiefeln querbar sind. Der letzte kleine Pass unterhalb eines aus dem Snæfell kriechenden Lavastroms eröffnet neue Blicke auf den Vatnajökull und die schroffe Westseite des Snæfell – und die Hütte, die ich kurze Zeit darauf erreiche. Kein Regen bis hierhin, auch wenn inzwischen ein paar bedrohlich wirkende Wolken um den Gipfel herumhängen.

Ist ein gutes Gefühl, den ersten Abschnitt so reibungslos, bei großartigem Wetter und auch noch deutlich schneller als gedacht geschafft zu haben! Geht mir zwar nicht drum, den Trek möglichst schnell durchzuhetzen, aber sich nach der Wettervorhersage zu richten hat sich bisher als Volltreffer erwiesen. Plaudere an der Hütte kurz mit dem Ranger, den ich gestern schon auf der Piste entlang des Kelduárlón getroffen habe, und baue dann das Zelt ein paar Meter neben der Hütte auf. Die Dusche ist kostenlos bzw. im Preis der Zeltübernachtung an der Hütte inbegriffen! Der Grund: sie ist eiskalt. Trotzdem ist sie willkommen, auch wenn es nicht auf eine Genussdusche hinausläuft. Kurz darauf – erneut ideales Timing – fängt es an für eine gute Stunde richtig zu prasseln. Alles, inklusive mir selbst, ist aber wieder trocken im Zelt drin. Koche und esse daher auch im Zelt. Nach den pyrotechnischen Erfahrungen des ersten Tages allerdings nur mit stark regulierter Trangia-Flamme und dem Taschenmesser im Anschlag, sollte ich mich aus der Rückseite des Zelts rausschneiden müssen wenn es Feuer fängt. Eine der Sicherheitsvorkehrungen, die mir zur Gewohnheit geworden sind bei solchen Aktionen, zusätzlich dazu, dass ich immer in voller Wanderbekleidung und mit den Schuhen außerhalb des Zelts koche um nicht barfuß und in Unterwäsche irgendwo hin laufen zu müssen im Falle des Falls. Bei der Stabilität und Sicherheit des Trangia-Kochers ist das allerdings ein unwahrscheinliches Szenario. Dann taucht die Sonne wieder auf und sorgt dafür, dass sich draußen ein schöner Regenbogen über den Snæfell spannt, den ich direkt aus dem Zelt beobachten kann.

Zwischen Essen und Schlafen schau ich nochmal auf einen kurzen Besuch in der Hütte vorbei. Außer mir und den beiden Rangern ist heute nur eine Geologin hier, die Proben nimmt um das Alter des Snæfell (neu) zu bestimmen. Da die Wettervorhersage für morgen mal wieder gut aussieht wird morgen in aller früh, am “Ruhetag”, der Berg in Angriff genommen!

Tag 5: Ruhetag Snæfellsskáli und Aufstieg Snæfell

Aufgewacht kurz vor 6 bei fast wolkenlosem Himmel. Daher wird gar nicht lang rum gemacht und ich schäle mich raus aus den Daunen, drück mir ein schnelles Frühstück rein und laufe los. Der F909 nach Süden ein Stück folgend, komme ich schließlich linkerhand an einen kleinen Parkplatz. Von dort kündet ein Schild einen 6,2km langen Anstieg über 1033 Höhenmeter auf den Gipfel an. Es ist jetzt ca. viertel 8, um ungefähr 9 sollte ich also oben sein. GPS Tracking aktiviere ich mal für den Fall, dass irgendwann Wolken oder Nebel aufziehen sollten. Erst geht es flach über Schotter und eine tiefe Rinne mit einem dicken Schneefeld. Dann folgt eine erste steilere Rampe, nach der es wieder flach und hangparallel weitergeht. Die Ansichten sind schon jetzt super, ich will mich aber beeilen, um das gute Wetter zu nutzen und bei ebensolchem oben anzukommen.

Erwarte für später traditionell den Aufzug von Wolken und dann ist der Gipfel ganz schnell eingehüllt. Eine zweite Rampe führt hoch auf einen Sattel direkt südlich des Gipfels. Dort bietet sich erstmals der Blick rüber in die Eyjarbakkar. Bis dahin waren nun schon einige Schneefelder zu queren, die ab jetzt nur noch mehr und größer werden. Eine dritte Rampe ist sehr steil und mühsam auf lockerem Schotter zu überwinden. Vom folgenden kurzen Sattel ist eine riesenhafte Schneeflanke zu bestaunen, die als nächstes erklommen werden will. Die durch den Wind erzeugten Muster im Schnee lassen mich staunen.

Es ist noch früh, der Schnee nach der klaren Nacht zum Glück noch bretthart verharscht. Kann daher Steigspuren bequem wie Treppenstufen nutzen, ausrutschen will man aber nicht. Eine ungemütliche Schlitterfahrt auf sehr rauhem Harsch wäre die Folge, was kaum gut für Haut und Stoff wäre. Kurz vor dem Gipfel ist nochmals ein kleiner Sattel zu überqueren, dann folgt ein letzter, leichter Gipfelaufschwung. Um kurz nach 9 bin ich oben auf dem höchsten, nicht vergletscherten Gipfel Islands! Das Panorama, das sich in allen Himmelsrichtungen bietet, ist nicht in Worte zu fassen. Nach Osten glitzern Kelduárlón, Eyjarbakkar und unzählige weitere Gewässer in der Morgensonne. Im Süden windet sich der apere Eyjabakkajökull mit eindrucksvollen Mittelmoränen zu Tal, dahinter ragt der Nunatakker Hnjúkafell (1278m) aus dem Eis. Nach Norden und Osten breitet sich das ungezähmte Hochland – vom aufgestauten Hálslón mal abgesehen – nördlich des Gletschers aus.

Spürbar kälter ist es hier oben, aber es geht so gut wie kein Wind. Daher ist es sehr gut auszuhalten, auch wenn ich sauber angeschwitzt bin. Ca. 20 Minuten verbringe auf dem Gipfel, mache viele Fotos. Den Abstieg gehe ich dann entlang desselben Wegs an. Gleich zu Beginn geht’s durch eine dichte Wolke mit Whiteout – ein kleiner Versuchshappen davon, wie es hier oben auch zugehen kann. Die Trittspuren sind aber gut verfolgbar. Dann, längst wieder außerhalb der Wolke, steige ich den ganzen Weg wieder hinab zur Piste und zurück zur Hütte, die ich 11:30 erreiche. Da ich durch die eingesparten Tage bis hierhin zusätzliches Essen überschüssig habe, gibt’s ein warmes Mittagessen statt der üblichen Riegel/Nüsse/Schokotafeln. Nach dem Essen sollst du ruhen, also lege ich einen ausgedehnten Powernap ein, während es etwa für zwei Stunden regnet (perfektes Timing!). Der restliche Tag besteht weiterhin aus relaxen, Wetter checken für die nächsten Tage, einem Besuch in der Hütte, einer zweiten Mahlzeit. Frühe Zeltruhe, denn morgen beginnt der zweite Teil. Schon fast eingeschlafen kommt dann noch der Ranger ans Zelt. Sie suchen noch nach einem Mädel, das an der Múlaskáli vorbei kam und an der Snæfellsskáli erwartet wurde. Er will wissen wann ich auf meiner Tour wo war und ob ich irgendwas gesehen habe. Mir fällt nichts ein (nur später dann mögliche ein bis zwei Tage alte Solo-Fußspuren, die ich entlang der Seenkette gelegentlich gesehen habe). Am Ende wird sich herausstellen, dass die Gute so eine Art Ultrakrass-50km-Tagesetappen-Wanderin ist und schon längst über alle Berge war – sie wurde am Kistufell lokalisiert.

Tag 6: Snæfellsskáli – Búrfellsölduvatn

Danach gut geschlafen, früh morgens ein weiterer Regenschauer, beim Aufstehen um 6 ist aber alles wieder im Lot. Los um 8 nach kurzem Abschied in der Hütte und Beschreibung meines Plans für die nächste Tage bis zur Askja, wo ich nach weiteren fünf Etappen eintreffen will. Dann direkt nach Westen, den Snæfell im Rücken, auf eine kleine Anhöhe, von der aus sich praktisch die gesamte kommende Etappe überblicken lässt: durch das wunderschöne, oasenhafte Grünland zwischen Vesturöræfi im Süden und Desjaárdalur im Norden, mit saphirblauen Seen und Flüssen. Am Horizont reckt sich die Königin der isländischen Berge in die Luft: die Herðubreið.

Auch Kverkfjöll, Kárahnjúkar, Vatnajökull, Trölladyngja und Hálslón sind zu sehen. In ungläubigem Staunen verharre ich erstmal für eine kurze Pause. Dann folge ich einer stillgelegten (“lokað”) Piste/Reitweg in die Senke hinab. Sehr oft bleibe ich stehen um zu gucken und Fotos zu machen. Einfach wunderschön hier.

Schließlich treffe ich auf die Sauðá, die kurz danach einen kleinen Canyon durchfließt. Zwei, drei Mal kreisen Raubmöwen über mir. An der Sauðá mache ich eine kurze Trinkpause, bevor ich den gemischten Jeep-Schaf-Reitweg dann gen Nordwesten verlasse. Zunächst geht es bretteben und auf festem Untergrund querfeldein, später wird es aber zunehmend feucht und sumpfig. Um auf eine Anhöhe zu gelangen, auf der ich laut Karte wieder auf den zuvor verlassenen Reitweg treffen sollte, der eine weite Schleife nach Süden beschreibt, müssen ein paar 100m sehr sumpfiges Gebiet gequert werden. Hier kommen die Gamaschen zum Einsatz, ohne die es wohl eine ziemliche Sauerei wäre.

Danach treffe ich auf der Anhöhe den gut begehbaren Reitpfad/Jeeptrack und folge ihm schnurstracks nach Norden bis etwa 2km vor dem Búrfellsölduvatn, den ich als Tagesziel mit sicherer Wasserversorgung auserkoren habe. Von hier geht’s nochmals ein paar Minuten querfeldein, teils feucht, bis zum See.

Am See finde ich eine relativ windgeschützte, gute Stelle auf festem Boden. Über dem gegenüberliegenden Ufer erhebt sich der Snæfell, von dessen Westseite ich heute früh gestartet bin. Ein kurzer Ausflug auf eine Anhöhe mit Blick auf Kárahnjúkar-Damm und Hálslón lässt mich die Staubwolken auf dem westseitigen Ufer des Sees beobachten. Das könnte mir morgen auch blühen, relativ windig ist es.

Zurück am Zelt widme ich mich nach einem kurzen Powernap der Schuhpflege mit Melkfett. Der Geröllschutzrand löst sich nämlich an beiden Schuhen auf der Außenseite bereits seit einiger Zeit ein wenig, hoffentlich halten die altgedienten Treter durch. Möbel danach noch die Sonnenbrille mit Panzertape und Klopapier zur Sturmbrille auf, die ich morgen brauchen könnte. Die Sonne scheint immer noch, den ganzen Tag wieder top Wetter gehabt.

Tag 7: Búrfellsölduvatn – Vesturdalsá

Wache sehr früh gegen 5 auf, hab aber auch relativ früh und gut geschlafen. Draußen: Traumwetter! Sonnig und windstill, der See liegt nahezu spiegelglatt da, der Snæfell wirkt zum Greifen nahe.

Das will ich nutzen bevor der Wind auffrischt und den Staub wieder hochwirbelt, also schlaf ich nicht mehr weiter. Vorsichtshalber teste ich die Vollvermummung mit Mütze, Buff und der MacGyver-Brille. Schaut aus wie auf Krawall gebürstet, aber kann, wenn es unangenehm wird, unverzichtbar sein.

Standard-Morgenprogramm innerhalb von zwei Stunden, dann mach ich mich los auf der Direttissima auf die Kárahnjúkar zu. Komme schnell voran. Dann treffe ich wieder auf die 910 (ja, die selbe 910, auf der ich schon den Ufsarlón auf der Ostseite des Snæfell umgangen hab) und überquere die Staumauern des Hálslón. Noch keine Staubwolken! Früh konnte man den Staub des Vorabends auf dem Zelt außen fühlen.

Ich schieße ein paar Fotos auf dem Staudamm, dann nutze ich am Touri-Stop auf der Westseite des Damms das Bad/WC für eine warme Katzenwäsche. Was für ein Luxus. Kurz darauf kommt der erste Bus angefahren. Quatsche kurz mit dem Fahrer. Wenige hundert Meter folge ich dann weiter der 910, anschließend geht es wieder querfeldein Richtung Westen hinunter in das durch den westlichsten Damm trockengelegte Sauđárdalur. Der Wind ist inzwischen deutlich stärker geworden und erste Staubwolken erheben sich über dem Hálslón in die Höhe und ziehen das Desjaárdalur hinunter: alles richtig gemacht mit dem frühen Start! Die Landschaft gleicht nun zunehmend dem Mond, ein Vorgeschmack auf die kommenden Tage. Zwar ist die Luft hier nicht sehr staubig, aber der Wind kommt stramm direkt von vorne in die Augen, was mich dann doch zur MacGyver-Brille greifen lässt. Sehr gute Funktionalität. Gerade mit meinen Kontaktlinsen ist es sehr angenehm nicht dauernd die Augen durchgeweht zu bekommen. Ca. 3km vor dem geplanten Tagesziel im Talkessel der Háumyrakvisl komme ich an die Vesturdalsá (schon der zweite Fluss mit diesem Namen) und entschließe mich nach kurzem Zögern hier zu bleiben. Es ist fraglich ob 3km weiter ähnlich gute Bedingungen herrschen, v.a. da der Platz einigermaßen windgeschützt ist, denn es weht nicht so schlecht. Außerdem hab ich guten Zeltboden und bestes Wasser.

Wird morgen eh ein langer Tag, ob ich nun noch etwas weiter gehe oder nicht. Da kommt die wahrscheinlich kürzeste Etappe des Treks nicht zum falschen Zeitpunkt. Den Nachmittag verbringe ich daher mit essen, relaxen, dösen und einem kleinen Spaziergang entlang der Vesturdalsá. Morgen möchte ich früh raus, um bei hoffentlich noch wenig Wind so weit wie möglich über die Anhöhe der Álftadalsdyngja zu kommen. Soll aber laut Vorhersage auch insgesamt etwas weniger windig werden.

Tag 8: Vesturdalsá – Þorlakslindir

Die Nacht durch weht es allerdings munter weiter, daher greife ich irgendwann wieder zu den Ohropax. Geschlafen hab ich gestern Abend schon um 21 Uhr, dafür geht’s früh um 4 raus um das potentielle Windfenster zu nutzen. Ist ja auch egal, hell ist es so und so, die Uhrzeit spielt keine Rolle. Jedenfalls ist es sehr kalt gewesen, die kälteste Nacht bisher, aber früh ist es sonnig und ruhig. Zunächst steige ich über einen kleinen Pass zum Becken der Háumyrakvisl rüber. Diese fließt eher als Bach durch ein flaches Becken mit viel Moos und offensichtlich noch mehr Vögeln. Im Rückblick ist immer noch der Snæfell zu sehen. Dann, vom nächsten kleinen Pass, eröffnet sich der Blick auf die Álftadalsdyngja. Ein Klotz von einer Hochebene, sanft aber kontinuierlich ansteigend, die es zu queren gilt. Dahinter baut sich die unverwechselbare Herđubreiđ auf. Doch erstmal geht es etwas hinab zu einem Bach, dort mache ich eine Trinkpause. Es ist so windstill, dass jede Menge lästiger Fliegen unterwegs sind. Deshalb halte ich die Pause eher kurz. Anschließend geht es für ca. 7km sanft, aber andauernd bergan, durch eine Schotter- und Schuttwüste wie auf dem Mond. Eine riesige, respekteinflößende, archaische Landschaft.

Aber es war definitiv wieder eine richtige Entscheidung, mit dem Wetter zu wandern und gestern bei dem Wind nicht noch weiter zu gehen. Es könnte hier ganz leicht auch unbequemer zugehen. Dann treffe ich nach der Querung einer Piste in einer kleinen Senke auf zwei Seen, oder eher zwei größere Pfützen. Da es vollkommen windstill ist (!) bilden sie riesige Spiegel, in denen die Kverkfjöll und die näher gelegenen, dunklen Lónshnjújur (852m) reflektiert werden.

Danach weiterhin bergan, es zieht sich langsam. Endlich mehr oder weniger am höchsten Punkt angekommen bin ich ganz froh drum, setzte mich ein paar Minuten in den Windschatten meines Rucksacks und genieße die unglaubliche Weite und vor allem Stille dort oben. Im Rückblick dominiert immer noch der Snæfell. Was für ein Klotz, da war ich oben.

Der Abstieg ist nicht minder langwierig, teils ruppig-steinig, teils sandig-bimsig weich. An manchen Stellen sackt man förmlich weg im lockeren Bims. Ein kleiner Staubteufel kreuzt wenige Meter vor mir meinen Weg. Erste größere Bimssteinansammlungen künden von der nahenden Askja. Der Ausblick nach Norden ist weiter gigantisch. Relativ früh sehe ich auch mein Tagesziel, die “Lücke im Berg” der Þorlakslindir nahe der Kreppa. Das macht den Rest dieser fast reinen Wüstenetappe noch zäher. Kreuze die F910, nachdem ich von der Álftadalsdyngja wieder unten bin, danach sind es noch ca. 3.5km bis zum Ziel. Wasser gibt’s hier in der Gegend nicht, deshalb ist der kleine Umweg nach Norden notwendig, auch wenn ich morgen dieses Stück wieder zurück nur F910 laufen muss. Folge schließlich einem trockenen Flussbett, aus dessen Boden dann doch irgendwann Wasser beginnt herauszusickern. Noch 1km direkt auf die Scharte zu, dann tut sich eine richtige Oase auf: zahlreiche sprudelnde Quellen direkt am Berghang speisen einen kleinen Fluss, der zur Kreppa rüber fließt. Finde dort eine knapp bemessene, aber überragende Stelle fürs Zelt direkt neben einer dieser Quellen auf einer Art winziger Landzunge im Fluss.

Mache auch noch einen kleinen Spaziergang zur Kreppa vor. Ein großartiger Blick über den Fluss zur Herðubreið bietet sich dort vorne. Dann folgen Wäsche waschen, mich selbst waschen, relaxen, essen. Ein Kompressionsstrumpf, die ich die letzten Tage zu schätzen gelernt habe, wird leider davon geweht. Insgesamt war das heute eine den Kopf durchaus fordernde Etappe durch deren Art (Wüste weit und breit und das Ziel schon so lange im Voraus im Blick). Außerdem ist mir ziemlich bange wegen der angekündigten starken Winde für morgen und zusätzlich der Tatsache, dass ich kein Wasser finden werde und daher alles mit tragen muss. Freue mich außerdem darauf, Papa endlich an der Dreki zu treffen und vermisse Ju heute besonders arg. Wenn man im Nachhinein überhaupt von einem kleinen mentalen Durchhänger während des Treks sprechen möchte, dann war es wohl dieser Abend.

Tag 9: Þorlakslindir – Upptyppingar

Am nächsten Morgen aber: gut geschlafen, kleines mentales Tief überwunden. Es steht ein sehr anstrengender Tag an. Standardprozedur und -abbausequenz, aber heute kommen zusätzlich 3.5l Wasser ins Gepäck, weil an den Upptyppingar kein wirklich brauchbares Wasser zu erwarten ist (außer dem aus den Gletscherflüssen Kreppa und Jökulsá). Früh raus wieder um 4, da ab Mittag der Wind deutlich zunehmen soll. Erstmal geht es die 3.5km entlang des Höhenzugs wieder zurück zur F910. Etwas weiches Sand-Schotter-Gemisch, aber ganz gut zu gehen. Halte mich relativ weit oben am Hang, umgehe dadurch eine tiefere Rinne, muss dann aber trotzdem wieder runter in die Ebene, um an die Piste zu kommen. Nach ein paar 100m Piste verlasse ich diese schon wieder über ein bizarres Lavafeld auf direktem Weg zur Brücke über die Kreppa. Dahinter steht auf einem Parkplatz ein Camper. Der wahrscheinlich dazugehörige Mensch kommt mir kurz darauf entgegen – joggend. Damit hatte ich nicht gerechnet heute. Ich lege dann die Regensachen als zusätzlichen Windschutz an, denn es weht schon nicht schlecht und die Luft ist kalt. Ich kühle sonst trotz Bewegung zu schnell aus. Über mehrere Kilometer der Piste folgend kämpfe ich mich voran, der Wind kommt aus Süd, meist genau meine Richtung und daher von vorne. Dadurch ist es umso anstrengender. Staubfahnen erheben sich in der Entfernung aus dem Flussbett der Kreppa hinter den irgendwie unwirklich erscheinenden Upptyppingar. Die Wolken machen einen bedrohlichen Eindruck.

Werde bald auch die Sturmsonnenbrille und Vollvermummung anlegen. Die Kamera bleibt hingegen fast den ganzen Tag im Rucksack, um sie nicht dem Staub in der Luft auszusetzen. Strengt alles ziemlich an, der Wind, der teils sandig-weiche Boden der Piste, und die zusätzlichen 3.5kg Gepäck durch das Wasser. Ein paar Jeeps kommen entgegen bzw. in meine Richtung, aber keiner hält an. Dann, auf Höhe des Lónshnúkur, verlasse ich die Piste nach Westen und halte direkt querfeldein über ein Lavafeld auf die Brücke über die Jökulsá zu. Schlängel mich dabei durch ein Gewirr von Lavagebilden und Stricklavaplatten, halte mich etwas zu weit südwestlich, korrigiere dann aber wieder direkt in Richtung Brücke. Oberhalb des Flusses, der hier durch eine Schlucht fließt, mache ich eine kurze Pause. Die Softshell unter der Hardshell ist inzwischen stellenweise durchgeschwitzt. Kurz nach der Brücke über die Jökulsá hält tatsächlich mal ein Jeep, ich denke es sind amerikanische Touris. Sie fragen mich wie es bei mir läuft, wo ich herkomme und hin will. Zum Abschied bekomme ich dann tatsächlich eine knappe halbe Packung Schokobutterkekse! Danach beginnt schon langsam die Campsuche, vor allem mit Hinblick auf Windschutz. Finde an der Südwestspitze der Upptyppingar eine sehr gute Stelle hinter einem kleinen Hügel und zwischen ein paar Lavaskulpturen. Das Zelt wird mit Steinen gut fixiert, die Sandheringe kommen auf dem reinen Bimsboden auch das erste Mal zum Einsatz. Zusätzlich errichte ich eine Reihe Steine als Windfang um die dem Wind zugewandte Seite des Zelts. Vielleicht lassen sich dadurch ja ein paar Bimssteine davon abhalten, zwischen Zeltboden und Footprint geweht zu werden.

Dann räume ich mir alle Kekse auf einmal rein. Gold wert!! Es ist eh schon beachtlich windig, aber ab 16:30 geht es für gut 1h so richtig rund. Wenige Meter links und rechts von mir pfeifts heftig durch die Windkanäle seitlich des Hügels, mein Zelt steht genau richtig. Kriege aber doch immer wieder Böen ab und Ladungen von Bims und Staub, die sich im Zelt anhören wie prasselnder Regen, aber keiner sind. Dann wird’s etwas ruhiger, ich wage es schnell im Zelt ein Kartoffelpüree zu machen. Danach gehts wieder heftig los, die ganze Nacht über. Ohne Ohropax geht irgendwann gar nichts mehr, während die Böen gelegentlich aufs Zelt hämmern wie ein Dampfhammer – im Windkanal wärs ganz und gar nicht lustig und auch hier bange ich bei der Geräuschkulisse und dem Zerren des Windes an meinem Zelt um selbiges. Aber es ist ein (sauber abgespanntes) Hilleberg, und als solches hält es die Nacht mit Bravour durch.

Tag 10: Upptyppingar – Dreki

Es haust bis in die Morgenstunden. Das Vorzelt ist voller Bims, Sand und Staub, inklusive allem was sich darin befindet (wozu leider auch meine Softshell zählt, die ich vergessen hatte mit ins Innenzelt zu nehmen). Um kurz vor 5 wirds ruhig genug, dass ich das Zelt sinnvoll packen kann. Vom leuchtenden Rot meines schönen Akto ist nach dem Bimssteinbombardement der letzten Stunden nicht mehr viel zu sehen.

Für Frühstück ist es mir aber immer noch zu windig. Da die Etappe mit ca. 15km recht kurz ist, gibts einfach erstmal nur die halbe Tagesration Schoko und es geht los. Mit leicht seitlichem Rückenwind aus Südost stapfe ich über den Vikursandur und genieße regelrecht gutes, teils sonniges Wetter. Durch den frühen Start vor sechs Uhr wird die Landschaft außerdem noch in schönes, sanftes Licht getaucht.

Wieder richtige Entscheidung getroffen, nachdem ich am Vortag noch kurz überlegt hatte, vielleicht ganz bis Dreki zu gehen. Das wäre aber eine mörderische Etappe gewesen und der Sturm hätte mich voll erwischt. Durchquere die Ebene aus Sand, Bims und Lavafeldern, immer direkt auf das Bergmassiv der Askja zu, an dessen Fuß die Dreki-Hütte liegt.

Zur Linken türmt sich der massive Schildvulkan Vaðalda (910m) auf, zur Rechten die Herðubreiðartögl (1073) und dahinter die Herðubreið selbst unter tiefen, dunklen Wolken. Hinter mir am Fuß der Upptyppingar ziehen bereits wieder erste Staubwolken durch. Nach gerade mal drei Stunden kommt die Hütte von einer kleinen Anhöhe aus ins Blickfeld und 30 Minuten später bin ich dort. Wahrscheinlich hab ich noch nie eine Etappe beim Wandern so früh beendet.

Papa kommt mir aus der Hütte entgegen gesprungen. Tolle Ankunft!! Aber die vielen Leute sind schon ein krasser Kontrast zu den letzten Tagen. Der Rest des noch langen Tages besteht aus essen, erzählen von der Tour, beobachten der Leute im Aufenthaltsraum und einer schönen, warmen Dusche, der ersten dieser Art seit Tag 1 in Stafafell. Morgen gibts einen wirklichen Ruhetag. Eine Fahrt zum neuen Lavafeld Holuhraun klappt leider nicht, aber Zeltputz steht an. Achja, und die Schuhe werden geklebt mit Sekundenkleber, den Papa mitgebracht hat, da sich seine Schuhe auch in der Auflösung befinden. Mal schauen ob unser gesammeltes Schuhwerk durchhält.

Tag 11: Ruhetag Dreki

Dank Ohropax gut und auch relativ lang bis halb 8 geschlafen. Lauter als die letzte Nacht war kann eh niemand schnarchen, auch nicht in einem Bettenlager mit zehn Leuten. Nach dem Aufstehen gibt es zum Frühstück Müsli mit frischem Apfel. Eine Offenbarung! Dann wird das Zelt geputzt, ist schon sehr staubig in allen Ritzen, eher sandig-steinig. Danach ist es wesentlich besser, auch wenn ich von manchen Leuten an der Hütte eher fragende Blicke ernte, da die Luft hier insgesamt staubig ist und das Außenzelt direkt wieder eine feine Schicht abbekommt. Aber wenigstens sind die Bimssteine raus. Außerdem wird etwas Wäsche gewaschen. Dann, vor dem Mittagessen, machen wir einen kleinen Rundweg zu einer Schlucht südlich der Hütte. Der Weg ist sehr schön oben entlang des Hangs der Askja geführt, mit Fernblick auf Vatnajökull, Vikursandur, Vaðalda, Upptyppingar, Herðubreið, Kverkfjöll und immer noch, in weiter Ferne, den Snæfell.

Kurz vor dem Abstieg in die Schlucht führt der Weg noch an einem beeindruckenden Windschliff in einem Tufffelsen vorbei. Die Schlucht selbst ist tief in den Tuff eingeschnitten und sowohl von oben, als auch beim rein laufen sind die Ansichten atemberaubend.

Dann muss ein Bach überquert werden, um zur Piste zu gelangen, die uns wieder zur Hütte zurück führt. Ich komme mit Schuhen rüber, Papa muss raus und barfuß furten. Wieder an der Hütte angekommen mach ich mich daran, die Spitze meines linken Schuhs mit Stückchen der Gummischnallen der Gamaschen zu verstärken, da hier beachtlich viel Gummi abgelaufen ist und ich befürchte, die Sohle könnte irgendwann anfangen abzuschlappen. Funktioniert aber sehr gut. Dann gibt es Kartoffelpüree mit Käse (!). Weiteres relaxen in der Hütte, plaudern mit einer Schweizer Familie und anderen Leuten im Aufenthaltsraum. Es stellt sich heraus, dass unter diesen Leuten auch der bei Islandwanderern bekannte Trekkingpapst Dieter Graser ist, der inzwischen kleine Wandergruppen durchs Hochland führt. Ansonsten steht Kraft tanken für morgen an. Ich werde den Wanderweg in die Askja gehen, Papa entlang der Piste. Die Wettervorhersage für die nächsten Tage sieht sehr gut aus.

Tag 12: Dreki – Dyngjufelldalur

Tief und fest geschlafen. Am Abend kam gestern noch eine isländische Wandervereinsgruppe in der Hütte an und forderte ihren Platz im Aufenthaltsraum ein. Daher gings recht zeitig hoch ins Bettenlager, wo sich eine kleine deutsche Enklave bildete durch die Teilnehmer der von Dieter Graser geführten Reisegruppe. Beim Frühstück sitzen zwei aus der isländischen Wandergruppe gegenüber mit am Tisch. Sehr nettes Gespräch mit den beiden, deren Gruppe heute die Herðubreið erklimmen will. Scheint also auf jeden Fall ein Tag mit erneut gutem Wetter zu sein, auch wenn noch Wolken die Hänge der Askja und der Herðubreið verhüllen. Wir starten um 9 nach kurzer Verabschiedung von Dieters Reisegruppe. Papa folgt dann der Piste, während ich direkt nach den Hütten der Ranger die steile, erste Rampe des Wanderwegs in die Askja in Angriff nehme. Der Rucksack ist durch das aufgestockte Nahrungspaket natürlich wieder schwerer wie zuletzt, der Ruhetag hat aber Kräfte zurückgebracht und so komme ich zügig voran. Teils kann ich Papa vom Aufstieg aus noch unten auf der Piste ausmachen. Der schmale Trampelpfad, gelegentlich wieder durch gelbe Pflöcke markiert, windet sich steil hinauf, durch eine bizarre Landschaft mit tollkühnen, pechschwarzen Tuffgebilden.

Wind geht nur sehr wenig, aber irgendwann komme ich in die Nähe der Wolken, die am Kamm hängen und es wird dermaßen nebelig, dass der Weg, besonders wenn er nicht auf weichem Bimsstein verläuft, kaum mehr zu erkennen ist, da auch die Pflöcke in zu großer Entfernung zueinander stehen. Hier schalte ich sogar sicherheitshalber kurzzeitig das GPS an, die aufgespielte Karte zeigt nämlich den Wanderweg. An der Passhöhe entgeht mir durch den Nebel leider der spektakuläre Blick hinunter in die Caldera und auf den Öskjuvatn. Erst ein wenig später und ein paar sehr steile Meter Schotterhang unterhalb des Passes beginnen die Wolken langsam wieder aufzureißen. Das Wetter ist an sich sonst gut, und der See liegt strahlend blau zwischen schneebedeckten Hängen tief unter mir. Flacher werdend geht es dann in Richtung Viti-Krater, vorbei an einem kleinen Geothermalgebiet, aus dem sich der typisch faulige Schwefelgeruch in die Umgebung verbreitet. Auf einer Zinne im Abstieg macht ein Schweizer Wanderer, der mich mit Leichtgepäck und seiner Familie überholt, ein Foto von mir vor dem Öskjuvatn. Ich geb ihm meine Email-Adresse und einige Tage nach meiner Rückkehr bekomme ich tatsächlich einen Dropbox-Link zum Bild! Vielen Dank, Herr Hartmut Mühlberg! 🙂

Am Viti-Krater sind einige Leute unterwegs, auch unten direkt am Wasser. Deswegen halte ich mich hier gar nicht weiter auf sondern stapfe in ein paar Minuten vor zum Parkplatz, der nicht nur sehr stattlich gefüllt ist, sondern an dem auch Papa schon seit einiger Zeit wartet. Nach gut der Hälfte der Piste hielten ein paar Briten in einem Jeep und boten ihm an, ihn mit zum Parkplatz zu nehmen. Ab hier geht es also zusammen weiter, der Solo-Teil ist geschafft! Erst gehts über das im Vorfeld mit großem Respekt betrachtete Lavafeld, was sich in weiten Teilen aber als nicht so dramatisch herausstellt. Viele Stricklavaplatten lassen sich gut als Highways nutzen, aber vor allem zu Beginn ist das Gelände schon extrem ruppig, klotzig und scharfkantig. Jeder Schritt will hier gut gesetzt werden, denn bei einem Sturz würde man sich Ausrüstung und Haut übel aufreißen. Nach einigen hundert Metern erreichen wir die Schneefelder am Fuß der nördlichen Hänge der Askja. Hier kurze Pause und Spot, bevor es über mehrere Kilometer entlang des Höhenzugs nach Westen in Richtung Pass Jónskarð geht. Die ganze Zeit stapfen wir hier im Schnee, der zwar teilweise leicht sulzig ist, das Gehen im Vergleich zur Alternative Lava jedoch enorm erleichtert.

Das Wetter ist weiter ideal, kurz vor dem Pass machen wir noch eine kurze Pause nahe einer Erdbebenmessstation an einem kleinen Hügel, trinken Schmelzwasser, das von den nördlichen Hängen herabfließt. Der Anstieg in die Jónskarð ist steil, aber kurz und lässt sich in Serpentinen auf dem Schnee schnell bewältigen. Der Ausblick von oben in die Caldera ist überragend und eine Sicht auf die Askja, wie ich sie bisher noch nicht bewundern durfte. Die gesamte, riesige Caldera lässt sich überblicken, vor zum Parkplatz, dem Öskjuvatn und den südlichen Hängen, über die sich Staubwolken schieben, die sich aus dem Ódaðahraun und dem angrenzenden Schwemmland erheben, uns allerdings nicht erreichen.

Auf dem Pass und im Abstieg nördlich anschließend liegt noch recht viel Schnee, teils vollgesogen mit Wasser, aber es finden sich gute Wege entlang weiter Schneefelder, um sumpfige Niederungen zu umgehen. Dann wird’s aber irgendwann immer ruppiger und das wird für zahlreiche, anstrengende Kilometer auch so bleiben. Der Boden besteht aus sehr scharfen und groben Lavablöcken, die die Schuhe malträtieren und am Ende hängen die angeklebten Gamaschenteile in Fetzen von der Schuhspitze – haben aber bestimmt etwas Schaden von den Schuhen selbst abgehalten. Der Wind, der von Süden und damit von hinten weht, hat hier auch stark zugenommen und fegt die Nordhänge der Askja hinab. Teilweise bringen einen die Böen fast aus der Balance, vor allem wenn sie eher von schräg hinten oder seitlich kommen und den Rucksack erfassen. Zusammen mit dem eh harten Untergrund, auf dem man keine zwei Schritt geradeaus laufen kann, haut das ganz schön rein. Zum Glück aber kommt das Ganze nicht von vorne. Es geht an bizarr gelben Felsen, um die der Wind nur so rumfetzt, in ein breites Hochtal hinab, in welchem ein sehr breiter und verzweigter, aber größtenteils recht seichter Fluss fließt. Über mehrere Sand- und Kiesbänke bahnen wir uns den Weg durch die flachsten Stellen und müssen bei maximal knöcheltiefem Wasser die Schuhe daher nicht notwendigerweise ausziehen, auch wenn Papas Meindl etwas lecken. Der Blick reicht hier über die weite Ebene des Ódaðahraun schon bis hin zu den beiden markanten “Zielbergen” Sellandafjall und Bláfjall. Schon weit gekommen, auch wenn die Entfernung bis dorthin noch ganze zwei weitere Tagesetappen in Anspruch nehmen wird! Auch der zackige Lokatindur reckt sich durch die staubige Luft, die einen Blick bis ganz raus zum Mývatn verhindert.

Dann geht es eine finale Steilstufe hinunter, von deren Beginn aus bereits die Dyngjufellsskáli zu sehen ist, unser heutiges Tagesziel. Das Tal selbst sieht sehr, sehr wüstenhaft aus, beige und graue Schattierungen dominieren, es wirkt wie auf einem Science-Fiction-Planeten. Dazu hängen irre dramatische Wolken im Norden, die die surreale Stimmung noch verstärken.

Recht ausgepumpt vom üblen Untergrund während der letzten Kilometer aus der Askja raus erreichen wir die Hütte, in der sich schon zwei sehr nette Deutsche aufhalten, Antonia und Tobias, die getrennt unterwegs sind, sie zu Rad, er zu Fuß. Bekommen eine große Portion Nudeln von ihnen, die sie übrig haben, und führen lustige und interessante Diskussionen über Tourverläufe, Wetter, Ausrüstung…und natürlich Futter(-reserven). Netz gibts hier weit hinten im Dyngjufelldalur keins. Papa schläft nach zwei Minuten im Bett ein und ich bin auch ganz gut durch, war aber auch eine anstrengende und dazu lange Etappe.

Tag 13 Dyngjufelldalur – Suðurárbotnar

Zum Aufstehen um 7:30 scheint die Sonne von einem wolkenlosen, strahlend blauen Himmel. Und es ist schon jetzt richtig warm. Frühstück zusammen mit Antonia und Tobias, danach geht es gemütlich ans Packen. Die beiden starten vor uns, Tobias unseren gestrigen Weg die Askja hoch (das wird anstrengend) und Antonia der Piste vor dem Haus folgend Richtung Kistufell (nicht minder anstrengend) und wir können beide noch ein Stück weit verfolgen auf ihren Wegen, während wir die Karotte essen, die uns Antonia überlassen hat: so viel zu den Futter(-reserven) – und den doch leicht unterschiedlichen Packmöglichkeiten von Radlern und Wanderern! Sehr lecker. Die Etappe lässt sich dann größtenteils recht schnell so zusammenfassen: ein Mix aus Stein, Staub, Sand und Lava in unterschiedlicher Ausprägung.

Der Wind weht durchaus frisch, was für ein wenig Abkühlung in der gleißenden Sonne sorgt. Ein kleiner Staubteufel überrollt uns bei einer kurzen Rast. Die Rückblicke zur Askja werden heute den gesamten Tag über immer wieder durch riesige Staubwolken aus dem südlich davon gelegenen Schwemmland nahezu komplett verdeckt, dann ist der Gebirgsstock wieder für kurze Zeit zu sehen.

Hoffentlich hat es vor allem Antonia im Schwemmland nicht zu übel erwischt (aber es sieht leider ganz danach aus). Unterwegs treffen wir auf einen Jeep (der nicht anhält) und zwei Solowanderer, einen aus Chile (mein erster Chilene auf Island) und einen Deutschen, der recht planlos wirkt. Kurzer Smalltalk mit beiden. Nach Verlassen der Jeeppiste geht es über die letzten Kilometer der Etappe entlang einer alten, still gelegten Piste, die sich umständlich durch ein Lavafeld mit teils irren Stricklavaplatten windet. Plötzlich taucht inmitten dieser Wüste (und nach mehr oder weniger einer knappen Woche in einer größtenteils wüstenhaften Landschaft) ein See auf, an dessen Ufer die wunderschön gelegene Botni Hütte errichtet ist. Papas Anregung, aus Komfortgründen das windstille Innere der Hütte als Küche und Speisezimmer zu nutzen wird aufgenommen, denn es weht weiter ein straffer Wind, und wir halten uns ca. 2-2,5h an und in der Hütte auf.

Die Etappe war auch durchaus nicht ohne, auch wenn es diesmal keine signifikanten Steigungen gab. Aber es schien den ganzen Tag die Sonne fast ohne Schatten (der Franke sagt: die Sonne bletzt vom Himmel) und es war teils richtig warm. In Ermangelung einer kurzen Hose waren die meiste Zeit zumindest die Hosenbeine bis zum Knie hochgekrempelt und obenrum war das Unterhemd Stoff genug. Außerdem zehrt auch der dauernde Wind aus. Während wir uns an der Hütte aufhalten kommen insgesamt vier Franzosen an, von denen zwei die klassische und anscheinend gerade bei Franzosen überaus populäre Nord-Süd-Traverse nach Skógar gehen wollen, dabei aber auch nicht bis ins letzte Detail vorbereitet wirken. Außerdem tauchen zwei Isländer in einem recht monströsen Superjeep auf, für den die extrem ruppigen Pisten um die Botni kein großes Hindernis darstellen. Die beiden berichten von Begegnungen mit einem sehr erschöpften Wanderer (wohl dem planlosen Deutschen) und einem Mädel mit Rad, die am Boden im Sandsturm sitzend verharrte um auf Abflauen des Windes zu warten – wohl leider “unsere” Antonia. Hoffentlich hat sie es letztlich noch gut geschafft! Nach der Essenspause laufen wir ein Stück weiter um an der Suðurá einen schönen Zeltplatz zu finden. Nur wenige hundert Meter hinter der Hütte beginnt bereits das Wasser wie bei einem Rohrbruch aus dem Boden zu sprudeln und es bildet sich augenblicklich ein stattlicher Fluss! Die Landschaft wird schlagartig grün und freundlich, fast lieblich (wären da nicht die aufragenden, bizarr geformten Lavagebilde, die doch teilweise sehr an Trolle erinnern). Was für ein Kontrast zu den Tagen zuvor! An einer Flussbiegung schlagen wir die Zelte auf an einem absoluten Traumplatz direkt am Wasser. Die 22:30-Sonne scheint immer noch von einem fast wolkenfreien Himmel.

Tag 14: Suðurárbotnar – Sellandafjall

2 Wochen on Tour! Die Nacht am plätschernden Fluss war gut, ich bin ein wenig faul und lieg noch ein gute halbe Stunde länger dösend im Zelt bis die Sonne es so sehr aufwärmt, dass es mich automatisch raus treibt. Der erste Blick aus dem Zelt zeigt: wolkenloser, blauer Himmel. Wie lang soll das eigentlich noch so weitergehen? Wird langsam unheimlich. Dazu weht eine leichte Brise die wunderbar ausreicht, um die berüchtigten Hochlandmücken auf Distanz zu halten. So wird es ein gemütlicher Start in den Tag bevor es wieder ans Laufen geht. Die ersten ca. 5km sind dann Paradies pur entlang der Suðurá. Grüne Wiesen, blaues Wasser, Vögel, Schafe, Blumen, ein paar Lavafelsen. Die Jeeppiste ist sehr gut zu laufen, allerdings teilweise leider übel ausgefahren, auch in die Breite. Hier in so einem Bereich sollte es einfach verboten sein. Aber wer würde dann auch die Einhaltung des Verbots überwachen? Viele Fotos und gemächliches Tempo. Ist keine Gegend, die man schnell hinter sich lassen möchte.

Vor dem Richtungswechsel nach Norden zum Sellandafjall (987m) gibts eine ausgedehnte Trinkpause direkt am Flussufer, denn ab jetzt verspricht es wieder ziemlich trocken zu werden. Und es wechseln sich auch die Windverhältnisse. Entlang einer massiven Erosionskante in der dicken Humusschicht, die sich hier mühsam aufgebaut hat, ist es fast bis gänzlich windstill. Die Sonne heizt dadurch richtig deftig ein und die Mücken kommen aus ihren Löchern in den schattigen, feuchten Spurrinnen der Piste. Eine ganze Zeit geht es entlang der Erosionskante, dann wird diese Landschaft verlassen und der Weg steigt leicht auf ein steppenartiges, weites Plateau an.

Sandig-schottrig und mit schütterem, vertrocknetem Gras bewachsen ist es hier. Nach Norden dominieren Sellandafjall und Bláfjall (1206m). Nach Süden reicht der Blick weiterhin bis Herðubreið, Askja, Trölladyngja, sogar die Bárðarbúnga und später ein Teil des Hofsjökull sind scheinbar greifbar nahe. Was für eine Fernsicht. Zur Eiskappe des Gletschers sind es nahezu 100km Luftlinie. Kein Staub scheint heute die kristallklare Luft zu trüben. Auf der Hochfläche machen wir eine kurze Pause. Der Wind weht weiter nur sehr schwach und es brutzelt richtig runter. Aber plötzlich pfeift es irgendwo in der Nähe und eine kleine Windhose, vielleicht gerade mal einen Quadratmeter groß, bahnt sich ihren Weg durchs trockene Gras ein paar Meter von uns entfernt und wirbelt den Sand von der Piste auf. Danach geht wieder kein Lüftchen. Staubtrocken geht es auch die nächste Zeit weiter. Kleine Tälchen, die wohl manchmal Rinnsale führen, sind völlig ausgetrocknet. Die Karte sagt aber, dass irgendwann ein Fluss zu queren ist. Die Wasservorräte gehen langsam zur Neige, von daher wäre dieser Fluss gerade sehr willkommen. Vollkommen unvermittelt taucht er dann tatsächlich in einem flachen Tal auf und er ist größer als erwartet! Zwar stellt er einen vor absolut keine Probleme, aber dennoch heißt es: raus aus den Stiefel, rein in die Watschuhe. Tatsächlich die inzwischen vierte Furt auf der Tour, bei der das nötig wird. Das eiskalte Wasser tut richtig gut an den glühenden Füßen und nach der Furt schließen wir eine ausgiebige Katzenwäsche- und Trinkpause an. Und dann kommt doch wirklich – und nicht weniger überraschend – Jogger Nr. 2 während des Treks seines Weges! Ein Isländer, Typ Trailrunner, der unterwegs zur Botni Hütte ist. Kurz darauf folgen noch zwei Franzosen, die wenig überraschend auch auf dem Weg nach Skógar sind. Diese Tour laufen inzwischen anscheinend alle, was es ein bißchen weniger reizvoll macht. Dann beginnt schon so langsam die Zeltplatzsuche an den Hängen des Sellandafjall. Aufgrund der sengenden Bullenhitze und der unsicheren Wassersituation am Bláfjall entscheiden wir, die Tour nicht über diese Variante sondern direkt raus zur Ringstraße an der Südspitze des Mývatn zu beenden. Das wäre dann morgen! Vom Bláfjall künden Erfahrungsberichte selbst aus nassen Jahren nur von sehr spärlichen Wasservorkommen (Pfützen!). Das ist uns deutlich zu wenig Sicherheit und jetzt nochmal mehrere Kilo Wasser aufsatteln für den Fall, dass keines zu finden ist, erscheint uns auch nur als unnötige und mühselige Verlängerung der Tour. Daher ist unser heutiger Zeltplatz etwas abseits der Piste in einem kleinen Taleinschnitt, aus dessen Boden ein wenig Quellwasser sickert und einen Mini-See bildet, gleichzeitig der letzte wilde Campingplatz dieser wunderbaren Langstreckenwanderung!

Ein bißchen Wehmut ob der fantastischen Tour schwingt mit, aber auch Euphorie, es morgen geschafft zu haben. Und die Aussicht auf frische Nahrungsmittel ist auch nicht so übel. Die Abendsonne scheint auf das Zelt.

Tag 15: Sellandafjall – Reykjaklið

Die Nacht war ruhig und nahezu windstill und so ist es auch morgens. In dem Tälchen geht kein Lüftchen, was besonders die Mücken freut. Beim Zelt packen bedeutet das: auf den letzten Drücker feiern tatsächlich noch die Mückennetze Prämiere! Es sind doch einige dieser nervenzehrenden Exemplare unterwegs, die besonders gern in Augen, Ohren und Nase krabbeln möchten. Kurz nach Etappenstart kommen wir an die Stelle, an der ein Fluss von den Westhängen des Sellandafjall auf die Piste trifft und die wir gestern als potentielle Stelle fürs Camp auserkoren hatten. Diejenige, die es letzte Nacht dann wurde, war auf jeden Fall schöner gelegen. Hier beginnt auch schon wieder Weideland und Brutgebiet, was man schon ein wenig am Fluss erkennen kann. Jedenfalls ist es auch schon wieder sehr warm und der Himmel nahezu wolkenlos. Die Trinkpause am Fluss wird die letzte für diese Etappe und damit auch für den Trek insgesamt werden! Der Plan ist, zur Ringstraße raus zu laufen und von dort die letzten 10km nach Reykjaklið zu trampen, da entlang der Ringstraße zu laufen sicher keine Option ist. Der Fluss wird am Nordwestende des Sellandafjall gekreuzt und die Piste, welche sich teilweise tief in den sandigen Untergrund zwischen Weidengebüsch eingegraben hat, steigt nun nochmals leicht in eine hügelige Schotterlandschaft an, in der wieder mal kein Tropfen Wasser zu finden ist. Dort drin sind wir nun eine ganze Zeit lang unterwegs, den Bláfjall immer zur Rechten. Nachdem wir früh bereits einem Radfahrer aus der Schweiz begegnet sind, kommen uns hier noch drei Jeeps entgegen. Einer davon, ein Isländer, hält kurz an und bietet uns Wasser und ein paar Datteln an. Eine willkommene Stärkung für die letzten Kilometer, die sich noch ganz schön ziehen. Durch die Hügel werden wir lange auf die Geduldsprobe gestellt, bis zum ersten Mal der Blick auf das Ziel der Tour frei wird, den Mývatn!

Unser Wasser müssen wir jetzt zum Schluss recht streng rationieren und die Sohlen an Papas Meindls halten nur noch durch mehrere Umdrehungen Panzertape am restlichen Schuh. Schließlich lassen wir die hügelige Schotterwüste hinter uns und es geht wieder etwas hinab in grünere Gefilde. Die ersten Weidezäune und Höfe tauchen auf und werden passiert.

Bald sind wir am Grænavatn und damit so gut wie draußen an der Straße. Die letzen Meter geht es entlang der Zufahrtsstraße zu den Höfen und schließlich stehen wir wieder an der Ringstraße, von der aus ich vor gut zwei Wochen gestartet war – nur halt im Südosten des Landes. Was für ein großartiges Gefühl! Freude und Dankbarkeit, dass alles so völlig reibungslos geklappt hat und sich mir das launische isländische Wetter von einer Seite gezeigt hat, von der ich im Voraus nicht ansatzweise zu träumen gewagt hatte. Gewicht und Volumen der Regenklamotten hätte ich mir so zwar sparen können. Aber ich will nicht meckern 😉 Gleich das zweite Auto hält an und sammelt uns auf. Deutsche, die das erste Mal hier im Land sind und denen wir ein paar Tipps für die Gegend um den Mývatn mit auf den Weg geben. Sie lassen uns in Reykjaklið an der Tankstelle raus. Nachdem wir die Zelte auf dem noch nicht ganz überlaufenen Zeltplatz am Ufer aufgestellt haben entern wir den Supermarkt. Danach gibts eine ausgedehnte, warme Dusche. So aufregend, beeindruckend, einmalig und erfrischend einsam die Wildnis des Hochlandes auch ist, so manche zivilisatorischen Annehmlichkeiten sind doch auch nicht zu verachten nach einiger Zeit.